Graue Energie - Der Verbrauch, den keiner kennt

Was ist "graue Energie?" - Stand-by vermeiden bei Unterhaltungselektronik, die Heizung gradgenau einstellen, für die kurzen Strecken das Fahrrad nehmen, den alten Kühlschrank durch einen neuen mit besseren Verbrauchswerten austauschen: Wer über den verantwortungsvollen Umgang mit Energie nachdenkt oder sein Handeln in dieser Richtung sparsamer ausrichten will, hat meistens den Energieverbrauch bereits vorhandener oder auch zu ersetzender Geräte im Sinn. Je mehr aber in Politik und Gesellschaft das Verständnis für nachhaltiges und ressourceschonendes Verhalten verankert wird, desto öfter taucht ein "neuer" Begriff im Diskurs auf: Graue Energie. - Dieser Artikel beleuchtet, was das ist.

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Graue Energie - Welche Energie ist nötig vor dem Einzug?

Energieverbrauch während der Nutzung

Strom für die Glühbirne, die Waschmaschine und das Smartphone, Benzin fürs Auto und Motorrad - sobald wir Gegenstände wie diese nutzen, müssen sie angeschlossen, aufgeladen und betankt werden. Damit wir das möglichst energiesparend tun können, gibt es beispielsweise die Einteilung in unterschiedlich gute Energieeffizienzklassen.

Energieverbrauch für die Herstellung und Logistik

Noch bevor wir diese Gegenstände das erste Mal ans Stromnetz anschließen oder sie an der Tankstelle befüllen, wurde bereits Energie verbraucht - für die Herstellung, für den Transport und die Lagerung. Das ist logisch, nachvollziehbar und einfach, aber zu häufig eben auch noch unsichtbar.

Denn dieser Energieverbrauch, der ja vor der eigentlichen Nutzung liegt, rückt erst allmählich ins öffentliche Bewusstsein. Er liegt gleichsam im Verborgenen, im Schatten. Wahrscheinlich leitet sich daraus auch sein Name: "Graue Energie" ab. Wer also genauer hinsieht, entdeckt, dass diese graue Energie überall steckt: in einzelnen Gegenständen, Nahrungsmitteln, Gebäuden. Direkt in unserem täglichen Leben!

Für die Tafel Schokolade (100 gr) beispielsweise, die gerade auf meinem Schreibtisch auf die Kaffeepause wartet, brauchte es immerhin 250 Wh (oder 0,25 kWh) , um sie herzustellen. Das entspricht etwa der Energiemenge, die eine 60W-Birne benötigt, wenn ich sie etwas mehr als vier Stunden brennen lasse. Die in der Energieberatung üblichen Maßeinheiten erkläre ich übrigens hier.

Kein Wunder, dass die graue Energie weltweit einen Großteil des primären Energieverbrauchs ausmacht. Und kein Wunder, dass wir uns immer noch sehr schwer damit tun, sie möglichst klar zu berechnen und zu berücksichtigen.

Graue Energie und Gebäude

Energieneutrale Häuser oder auch Gebäude, die mehr Energie produzieren, als sie verbrauchen, sind keine Seltenheit mehr. Dennoch benötigt  ihre Herstellung viel Energie - gerade, wenn einzelne Materialien von weither herantransportiert werden müssen. Um hier möglichst verträglich zu bauen, muss Bewusstsein für ein ausgewogenes Verhältnis von Materialien gefunden werden, die

  • mit möglichst wenig grauer Energie herzustellen sind,
  • stabil und sicher funktionieren,
  • lange halten und später einfach recycelt werden können.

Auf die richtige Mischung kommt es an: Es nützt also eher wenig, ein Haus mit wenig grauer Energie zu errichten, wenn es dann extraviel Nutzungsenergie verbraucht, weil es schlecht gedämmt ist.

Auch hier rückt das Thema gerade erst in den Blick der breiten Öffentlichkeit, kürzlich zum Beispiel in der medialen Diskussion um einen möglichen Baustopp für Einfamilienhäuser (im Gegensatz zu verdichtetem Wohnungsbau). Ein weiterer Aspekt ist in diesem Zusammenhang interessant. Jeder, der ein Haus bauen oder sanieren möchte, kennt die Kostenschätzung pro Quadratmeter Wohnfläche, wenn es um die Finanzierung geht.

Aktuell kostet ein Quadratmeter Wohnfläche in Deutschland im Schnitt etwa 2.500 Euro. Das heißt: Baust du ein Haus mit 200 Quadratmetern Wohnfläche, ist es 250.000 Euro teurer als eines mit 100 Quadratmetern.

Eine ähnliche Rechnung lässt sich natürlich ebenfalls für den Energieverbrauch aufmachen - sowohl hinsichtlich der grauen Energie zur Herstellung und Logistik wie auch zur Nutzung nach Einzug. Kleiner Bauen wird so zu einem bedenkenswerten Ansatz, um in Zukunft den extensiven Verbrauch von Bauflächen und Energie sowie Finanzierungsengpässe zu vermeiden.

Ausblick

Dank der Energieeffizienzklassen (dem EU-Label) können wir als Verbraucherinnen und Verbraucher bereits abschätzen, wie viel Energie ein neues Produkt, das wir anschaffen, in der Nutzung verbrauchen wird.

Gut wäre eine ähnlich verpflichtende Kennzeichnung auch für den bereits zurückliegenden Verbrauch an grauer Energie für die Herstellung und die Logistik. Für die sinnvolle Berechnung und Ausgestaltung einer solchen Kennzeichnung ist natürlich die Politik zuständig.

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Hubertus Pieper ist seit vielen Jahren Energieberater für Wohngebäude. Als studierter Archtitekt interessiert er sich vor allem für energieeffizientes Bauen in Holz, das dank guter Ideen mit weniger Quadrametern auskommt.
© Hubertus Pieper